Bevor Sami 2008 nach Budapest kam, studierte er Wirtschaft an der Universität von Aleppo, in dessen Nähe er in einer Mittelschichtfamilie aufwuchs. Sein Vater arbeitete für die Regierung und seine Mutter war Lehrerin. Im Gegensatz zu seinen Freunden, die nach der Schule entweder zwei Jahre Militärdienst ableisteten oder im Ausland arbeiteten, um sich von diesem freizukaufen, entschied sich Sami für ein Studium in Europa. Seine Familie wollte ihn nicht gehen lassen, aber mit Hilfe eines saudi-arabischen Sponsors gelang es ihm, die Studiengebühren für die Corvinus-Universität in Budapest zu bezahlen, bei der er für ein Masterprogramm in Betriebswirtschaftslehre angenommen worden war. Als Student war die Aufenthaltserlaubnis kein Problem für Sami. Neben dem Studium arbeitete er bei Tesco, Burger King und schließlich als freier Arabisch-Übersetzer. Er lebte in verschiedenen Wohngemeinschaften, fand viele Freunde und lernte Ungarisch, obwohl er bis heute lieber Englisch spricht. Heute beschreibt er seine erste Zeit in Budapest so: „Ich habe hier meine Augen geöffnet und die Welt kennengelernt. Ich machte mir eigene Gedanken über die traditionellen Werte, die mir verinnerlicht wurden.“

Plötzlich ohne Aufenthaltserlaubnis

Sami Kasems Probleme fingen erst an, als er im Juni 2016 die Universität endgültig verließ. Er hatte nach seinem Masterabschluss zwar ein Jahr Vollzeit für General Electric gearbeitet, aber war dann zur Universität zurückgekehrt, um Kurse für eine Doktorandenstelle zu belegen. Freiberuflich arbeitete er weiterhin als Übersetzer. Als aus der Doktorandenstelle schlussendlich doch nichts wurde, wollte Sami im Sommer dieses Jahres wieder eine Vollzeitstelle annehmen.

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Sami ist kamerascheu, er möchte unerkannt bleiben. Der lange Kampf mit den Behörden hinterlässt ihn psychisch angeschlagen.

All die Jahre zuvor war seine Aufenthaltserlaubnis von der Einwanderungsbehörde immer um ein Jahr verlängert worden. Doch dieses Mal war alles anders. Obwohl er schon Monate vorher eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis beantragt hatte, wurde dieser Antrag sieben Tage vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Als Gründe nannte die Behörde den Verdacht des Betrugs, da sich Sami Kasems Status in den letzten Jahren so oft geändert hatte: von Student zu „Sonstiges“, dann zu „arbeitend“ und schließlich wieder zu Student. Dieses Mal bewarb sich Sami Kasem wieder für „Sonstiges“, da er noch keinen festen Arbeitsvertrag eines ungarischen Arbeitgebers vorweisen konnte.

Es ist für Sami wichtig festzustellen, dass er immer transparent und kooperativ war. Als ihn die Behörde etwa nach seinen Kontoauszügen fragte, gab er ihnen, statt den geforderten sechs Monaten, die Daten der letzten vier Jahre. Dies bewirkte jedoch eher das Gegenteil: Samis Familie hatte ihn ab und zu finanziell unterstützt und hatte Sami Bargeldbeträge auf sein Konto eingezahlt, die die Einwanderungsbehörde nun als Schwarzgeld ansah und seine Erklärung, auch nachdem er Revision eingelegt hatte, nicht akzeptierte, sondern seine Aufenthaltsverlängerung zum zweiten Mal ablehnte.

Kein Weg zurück

Doch zurück kann und will Sami nicht. In Syrien warten der Militärdienst und mögliche Probleme mit dem Assad-Regime auf ihn. Der junge Mann hatte nämlich als einer von vielen Exil-Syrern zu Beginn des Bürgerkriegs an Demonstrationen vor syrischen Botschaften teilgenommen, konkret in Budapest, Wien und Paris. Zuhause in Syrien wurde sein Vater daraufhin auf der Polizeiwache bedroht und ihm geraten, dass sein Sohn aufhören solle, sich politisch zu engagieren. Außerdem ist Sami Kasems Elternhaus in der Nähe von Aleppo seit einem Bombenangriff im April 2015 eine Ruine, seine Familie ist nach Saudi-Arabien geflohen. Es gibt keinen Weg zurück für ihn.

Nachdem sich Sami nicht mehr zu helfen wusste, wandte er sich an Anwälte, die, so Sami, seine zwei Ablehnungen als politische Entscheidungen einstuften, die nichts mit der Einwanderungsbehörde an sich zu tun hätten. All dies fand nämlich im September letzten Jahres statt, also in der Endphase des Wahlkampfes vor dem Referendum über Ungarns Flüchtlingspolitik. Einer seiner Anwälte sagte Sami ganz offen: „Sie wollen keine Ausländer wie Dich. Aber da Du aus Syrien kommst, können sie Dich nicht zurückschicken.“

Die Stimmung ändert sich

Nachdem Samis dreimonatige Besuchserlaubnis Ende Oktober abgelaufen war, bekam er nur ein Papier, auf dem steht, dass er zurzeit nicht nach Syrien abgeschoben werden kann. Manche sagen ihm, dass er über seine syrische Staatsbürgerschaft doch glücklich sein kann. Doch Sami empfindet das anders: „Der syrische Pass macht mein Leben zehnmal schwieriger. Selbst wenn bei mir alles gut läuft, am Ende des Tages definiert mich dieser Pass. Ich will es nicht, aber er drückt mich nach unten und behindert mich.“

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Dieses Gefühl hat sich bei Sami besonders in den letzten zwei Jahren eingestellt. Arbeitgeber würden immer mehr davor zurückschrecken, syrische Staatsangehörige einzustellen, da es ihnen viel Papierkram und Aufmerksamkeit der Behörden beschert. Er merkt es auch daran, welche zusätzlichen Papiere von ihm verlangt werden und dass er fünf-sechsmal im Jahr zur Einwanderungsbehörde gehen muss. All dies belastet ihn, sodass er seit zwei Jahren Antidepressiva nimmt und seit der Zuspitzung im letzten Sommer auch in psychotherapeutischer Behandlung ist.

Als Sami das letzte Mal bei der Einwanderungsbehörde war, wurde er aufgefordert, sich als Flüchtling zu registrieren und sich in eines der Flüchtlingscamps zu begeben. Natürlich kommt er für diesen Aufenthaltsstatus infrage, da er in Syrien auf mehreren Listen wegen Anti-Regierungspropaganda steht. Er kann nicht nach Syrien zurück, selbst wenn er wollte.

Aber Sami will diesen Status nicht, er fühlt sich bedrängt. Er will nicht, dass acht Jahre voller Arbeit und gezahlter Steuern für nichts gewesen sind. Nach all dieser Zeit in Budapest, in denen er von den Menschen akzeptiert und willkommen geheißen wurde, will Sami nun auch endlich vom ungarischen Staat akzeptiert werden. Aber er fühlt sich hilflos: „Ich kann nichts an meiner Situation ändern. Ich will nicht alles aufgeben, was ich mir hier aufgebaut habe, indem ich einen Flüchtlingsstatus beantrage, aber ich will auch nicht zurück nach Syrien und ins Gefängnis oder in den Militärdienst.“

Er sei nun mal kein Flüchtling, sondern lebe integriert in die ungarische Gesellschaft: „Niemand kann anhand meines Aussehens oder daran, wie ich rede und mich verhalte, erkennen, woher ich komme.“

Fast schon eine Ironie des Schicksals ist, dass Sami im Sommer 2015 auf der Höhe der Flüchtlingskrise für die Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch an der ungarisch-serbischen Grenze gedolmetscht hat. Er betont, dass er nicht denkt, besser zu sein als syrische Flüchtlinge, die in letzter Zeit gekommen sind. Viele haben ähnliche Lebensläufe und seien genauso qualifiziert wie er, aber der Fakt, dass er nun nach acht Jahren Ungarn hier plötzlich zum „Flüchtling“ werden soll, schmerzt ihn sehr.

Vom Flüchtlingshelfer zum Flüchtling?

Muss Sami Kasem nun also wirklich nach acht Jahren in Ungarn einen Flüchtlingsstatus beantragen? Der 30-Jährige hat zumindest fast alle anderen Optionen ausgeschöpft. Seine letzte Hoffnung ist ein Arbeitsvertrag, den er noch im Dezember bei einer Import-Export-Firma abgeschlossen hat. Damit will er den Prozess des Antrags auf eine Arbeitserlaubnis erneut starten. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Einwanderungsbehörde auch diesen ablehnt, liegt laut seinen Anwälten bei 60 bis 70 Prozent. Wie seine Zukunft aussehen wird, kann Sami nicht sagen. Momentan hat er den Eindruck, als hänge er fest. Bei einer Sache ist er sich sicher: Sollte er keine andere Wahl haben, als den Flüchtlingsschutz zu beantragen, werde er dies auf keinen Fall in Ungarn tun.

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