Laut Überzeugung von Prof. Rácz, einem der Pioniere der modernen Schmerzmedizin, sollte jedoch niemand mit Schmerzen leben müssen. Deshalb kommt er regelmäßig nach Ungarn, um die nach ihm benannte Rácz-Katheter-Technik zu lehren – zuletzt im September – anlässlich der jährlich stattfindenden, nunmehr 21. Internationalen Schmerzkonferenz mit anschließendem, praktischem Workshop.

Tränen der Dankbarkeit

Ein Teilnehmer aus einem muslimischen Land äußerte sich einmal folgenermaßen über diese Treffen: „Budapest ist das Mekka der Schmerzkonferenzen. Zum Institut, an dem ich arbeite, kommen die Menschen mit Tränen in den Augen, weil sie unerträgliche Schmerzen haben. Wenn sie entlassen werden, haben sie Tränen in den Augen, weil sie dankbar sind, dass sie keine Schmerzen mehr haben.“

Die Hälfte der Patienten, die einen Arzt aufsuchen, klagen über Schmerzen. Eine immer größere Zahl von Patienten wird als chronische Schmerzpatienten eingestuft. Ihre Lebensqualität wird in vielen Fällen durch unerträgliche Schmerzen eingeschränkt. Ihr Leiden zu mindern, haben sich die Schmerzärzte auf die Fahne geschrieben. Sie repräsentieren eine neue Spezialisierung, die sich in den 70er Jahren herauszubilden begann. Die Zusammenkünfte der Schmerzärzte sind die Schmerzkonferenzen.

Zuletzt versammelten sich im September etwa 100 von ihnen aus 38 Ländern in Budapest. Es gab rund 40 Vorträge über verschiedene Methoden der Schmerzbehandlung. Ein praktischer Workshop regte den Erfahrungsaustausch an und gab die Möglichkeit, neue Verfahren zu lernen und die Qualität der Behandlungsmethoden zu verbessern. Vom 13. bis zum 15. Oktober findet in Budapest eine weitere Konferenz statt.

Warum Budapest?

Die Antworten auf diese Frage sind zahlreich. Die Teilnehmer sind davon überzeugt, dass Budapest ein herausragender Veranstaltungsort ist. Budapest ist leicht erreichbar, die Stadt hat Flair, die Einrichtungen sind ausgezeichnet und die Preise akzeptabel. Die Konferenz hat eine freundliche Atmosphäre und die Unterhaltungsprogramme sind gut organisiert. Immer wieder sind auch Ärzte vertreten, die bereits ihre FIPP-Prüfung (Fellow of International Pain Practice) abgelegt haben, da sie gerne nach Budapest zurückkommen, um sich auf dem Laufenden zu halten.

Der wichtigste Grund jedoch ist die Arbeit eines Mannes, Prof. Gábor Rácz. Auf seine Initiative hin werden die Zusammenkünfte in Budapest abgehalten. Seine beruflichen Erfolge, die ihn zu einer Koryphäe in seinem Feld werden ließen, hat er in den Vereinigten Staaten erzielt, seine Wurzeln sind jedoch hier in Ungarn. Prof. Rácz verließ Ungarn im November 1956, nach der Niederschlagung des Aufstandes.

Die Geheime Staatspolizei suchte den jungen Medizinstudenten, der bei der Versorgung der Verwundeten half. Sie vermutete, dass er sich auch aktiv an den Kampfhandlungen beteiligt hatte. Da viele der jungen Leute unter Folter keinen anderen Ausweg wussten, als ihnen genannte Verdächtige zu belasten, oder ihre eigene ‚Schuld‘ einzugestehen, war ein Verdacht ausreichend, mit dem Schlimmsten rechnen zu müssen.

Nur durch einen glücklichen Umstand trafen die Geheimpolizisten den Studenten Gábor Rácz nicht zu Hause an, als sie ihn zur ‚Befragung‘ abholen wollten. Dies gab seiner Familie die Möglichkeit, ihn zu warnen und ermöglichte ihm wenig später eine abenteuerliche Flucht über die Grenze nach Österreich. Heute verdanken ihm weltweit zahllose Schmerzpatienten die Erleichterung ihrer Beschwerden.

Nach der Vollendung seines Studiums in Großbritannien und einigen Jahren, die er dort als Anästhesist verbrachte, übersiedelte Prof. Rácz in die USA. Zu Beginn der 80er Jahre entwickelte er den Rácz-Katheter, und die Rácz-Katheter-Technik, eine Methode, die es möglich macht, chronische Rückenschmerzen mit minimalem Eingriff zu therapieren. Diese Methode unterrichtet er im Rahmen der Schmerzkonferenzen. Dass ein Arzt diese Methode sicher beherrscht, wird ihm bescheinigt, wenn er die FIPP-Abschlussprüfung erfolgreich ablegt hat.

Wie funktioniert die Rácz-Katheter-Technik?

Rückenschmerzen können die verschiedensten Ursachen haben. Unter anderem können Fehlhaltungen, Muskelverspannungen, Entzündungen der Wirbel oder deren Abnutzung zu Schmerzen führen. Eine sehr häufige Ursache sind jedoch Bandscheibenvorfälle, die bewirken können, dass die Nerven, die aus dem Spinalkanal austreten, weniger Platz haben und daher eingeklemmt oder ständig gereizt werden. Dies führt zu Entzündungen und Schmerzsignalen. Weitere Gründe für Irritationen sind die Bildung von Narbengewebe nach Bandscheibenoperationen oder Verletzungen der Bandscheiben.

Entzündete Nervenwurzeln sind eine Indikation für die Rácz-Katheter-Technik. Der Rácz-Katheter ist im Gegensatz zu herkömmlichen Kathetern mit einem metallenen Führungsdraht ausgestattet und besitzt eine weiche Spitze. Damit kann der Katheter zielgenau an den Schmerzherd herangesteuert werden, ohne Verletzungen zu verursachen. Durch diesen sogenannten Springfeder-Katheter wird ein Enzym eingespritzt, das die Vernarbungen aufweicht. Eine Steroid-Lösung hilft danach, die Entzündung der Nerven abklingen zu lassen. Zuletzt wird eine hypertonische Kochsalzlösung gespritzt, welche dazu führt, dass sich die vorgefallene Bandscheibe zurückzieht und die Bildung von Narben verhindert wird.

Welche Resonanz hat diese Schmerzinterventionstechnik im deutschsprachigen Raum?

Prof. Rácz weist auf eine Langzeitstudie des Kieler Professors Gerdesmeyer hin, die zeigt, dass mit der Rácz-Katheter-Technik bessere Ergebnisse bei Operation erzielt werden, wenn seine Methode vor einer Operation angewendet wird. In sehr vielen Fällen kann eine Operation durch die Rácz-Katheter-Technik sogar vollständig vermieden werden.

Eine Studie von Prof. Birkenmeier aus München belegt wiederum, dass eine hypertonische Kochsalzlösung die Bildung von Narbengewebe unterbindet. Prof. Rácz weist darauf hin, dass Prof. Birkenmaier damit den Zusammenhang aufgedeckt hat, der erklärt, weshalb Patienten, die unter fehlgeschlagenen Operationen oder Bandscheibenvorfällen leiden, nach Anwendung der Rácz-Katheter-Technik für viele Jahre eine Erleichterung verspüren.

Im Gegensatz zu Prof. Birkenmaier, der die Anwendungen von Kathetern mit großem Durchmesser für das mechanische Eindringen in das Narbengewebe für notwendig hält, bestätigt Professor T. Matsumoto aus Japan die Effektivität des dünnen von Prof. Rácz entwickelten Katheters, da das Eindringen in das Narbengewebe kein mechanischer sondern ein chemischer Prozess ist.

Wirksamkeit der Kathedermethode bewiesen

Prof. Andreas Veihelmann, Chefarzt in Wirbelsäulenabteilung der Sportklinik Stuttgart, hat eine Langzeitstudie durchgeführt, bei der er die Katheter-Methode mit der heute üblichen Physiotherapie vergleicht. Bei einem 12-Monats-Vergleich haben die Patienten, deren Bandscheibenprobleme mit der Katheter-Methode behandelt wurden, besser abgeschnitten. Sie klagten über weniger Schmerzen und mussten sich deutlich weniger Folgeoperationen unterziehen.

Prof. Rácz weist darauf hin, dass der Erfolg seiner Methode von der gründlichen Ausbildung der praktizierenden Ärzte abhängt, wodurch ungewollte Komplikationen vermieden werden.

Gibt es Schmerzärzte aus Ungarn, die an diesen Konferenzen teilnehmen?

In diesem Jahr haben sechs ungarische Ärzte an der Konferenz teilgenommen. Wie diese von der Schmerzintervention und von der Methode von Prof. Rácz gehört haben ist, ein interessantes Thema für sich. Dr. Edith Rácz (nicht verwandt mit Prof. Rácz), Chefärztin für Schmerzbehandlung und Anästhesiologie am Péterfy Sándor Krankenhaus, hat beispielsweise eine Fernsehsendung gesehen. Sie bekam Interesse und hat Prof. Rácz kontaktiert, nahm an den Kursen teil und erlernte die Rácz-Katheter-Technik. Das ungarische Schmerzprogramm geht auf ihre Initiative zurück. Sie stellte wiederum das Programm Dr. Ágnes Stogicza, Assistenzprofessorin an der Universität von Washington – damals ebenfalls am Péterfy Sándor Krankenhaus tätig – vor.

Auch Dr. Lóránd Erőss - heute Vorsitzender der Neurochirurgischen Abteilung und dem Zentrum für Neuromodulationen am Nationalen Institut für Klinische Nervenwissenschaften in Budapest – erfuhr von diesem Programm durch Dr. Edith Rácz. Er beschäftigt sich in seiner Forschung mit der elektrischen Stimulation von Nerven mit Hilfe einer Technologie, die den Pacemakern ähnelt, und eingesetzt wird, wenn bei chronischen Schmerzen eine Behandlung mit Medikamenten erfolglos ist.

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