Der Entstehungsgeschichte des Romans ging eine für den Fotojournalismus einzigartige Entdeckung voraus: Anfang 2008 tauchte in Mexiko ein Koffer auf, der 127 Filmrollen mit insgesamt 3.000 bisher unveröffentlichte Aufnahmen aus dem Spanischen Bürgerkrieg enthielt. Die Urheber dieser Aufnahmen: Robert Capa, David Seymour und Gerda Taro. Während Erstere mit ihren Werken internationale Berühmtheit erlangten und 1947 gemeinsam mit Henri Cartier-Bresson und George Rogers die bis heute legendäre Fotoagentur Magnum Photos gründeten, blieb Taro an der spanischen Bürgerkriegsfront zurück. Im Juli 1937 kam die gerade 26-Jährige beim Rückzug republikanischer Truppen ums Leben.

Taros Name ist heute wenig bekannt, ihr fotografisches Werk kaum rezipiert und in der Geschichte des Fotojournalismus nimmt sie, wenn überhaupt, dann nur eine Randnotiz ein – als die nie überwundene erste Liebe des großen Robert Capa. Es war der eingangs erwähnte Sensationsfund, der die spanische Autorin Susana Fortes beflügelte, die Geschichte dieser beinahe in Vergessenheit geratenen Kriegskorrespondentin, die als erste weibliche Fotografin Opfer in einem kriegerischen Konflikt wurde, in Romanform zu verarbeiten.

„Die Geburt des Mythos Robert Capa“

Der Roman „Warten auf Robert Capa“ entführt den Leser in das Paris der Dreißigerjahre: Die Cafés der Rive Gauche sind ein Tummelplatz für Intellektuelle und Künstler, die als Exilanten aus den unterschiedlichsten Ländern Europas in die französische Hauptstadt strömen. Darunter der attraktive 21-jährige Ungar André Friedmann und die 24-jährige Deutsch-Jüdin Gerda Taro (geborene Pohorylle). Wie auch seine Freunde Henri Cartier-Bresson und David Seymour, genannt Chim, hält sich André als Fotograf über Wasser. Auch Gerda lässt sich von ihm, dem „stolzen Ungar mit seinem ungestümen Charakter und den wenig geschliffenen Umgangsformen“, in die Geheimnisse der Fotografie einweihen und hilft im Gegenzug seine Bilder zu vermarkten. Schon bald verbindet die beiden neben der gemeinsamen Arbeit eine intensive Liebesbeziehung. Um das Geschäft anzukurbeln, erfindet Gerda den fiktiven Starfotografen Robert Capa, unter dessen Namen André Friedmann später in der ganzen Welt bekannt wird. Als in Spanien der Bürgerkrieg ausbricht, machen sich die beiden Heimatlosen auf an die spanische Front, immer bewaffnet mit der Leicakamera oder der Rolleiflex und der Bereitschaft für das perfekte Bild ihr Leben zu riskieren. Der Roman endet 1937 mit dem Tod Gerda Taros – siebzehn Jahre bevor Capa in Vietnam durch eine Tretmine ums Leben kommt.

Ein Buch für Capa-Fans und Liebhaber starker Frauencharaktere

Es sind vier kurze, aber intensive Jahre der Liebe zwischen Taro und Capa, die Fortes in ihrem Roman verarbeitet. Dabei rückt sie vor allem die Charakterentwicklung Taros in den Mittelpunkt, die sich im Laufe des Romans vom ängstlichen und wohlbehüteten Mädchen zu einer gestandenen Frau entwickelt, die kompromisslos ist und Unabhängigkeit der Sicherheit einer Beziehung vorzieht. Zumindest im Roman schafft es Taro auf eigenen Füßen zu stehen, Capa auf Distanz zu halten und den Männern an der Front den Kopf zu verdrehen.

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Das Titelbild der deutschen Ausgabe zeigt ein Bild der schlafenden Gerda Taro. Die Momentaufnahme stammt von Robert Capa und entstand 1936 während ihrer Zeit an der Spanischen Bürgerkriegsfront.

Fortes, die sich in ihrem literarischen Werk vornehmlich historischen Schauplätzen widmet, hat für „Warten auf Robert Capa“ gründlich in den Geschichtsbüchern ihres Heimatlandes gestöbert. Dabei haben ihre Schilderungen über den Verlauf des Spanischen Bürgerkrieges jedoch nichts lehrbuchhaftes, sondern eine fast anekdotische Qualität, die das Gefühl vermittelt, als wäre man selbst inmitten der Wirren und Verwerfungen des Kriegsalltags. Wer sich für die Geschichte des Fotojournalismus interessiert, wird sich über die vielen biografischen Hintergrundinformationen zum Leben und Werk Robert Capas freuen ebenso wie über Begegnungen mit weiteren Berühmtheiten des Genres. An vielen Stellen greift Fortes den Ereignissen ihrer Romanwelt voraus und weist beispielsweise auf das spätere Schicksal des eienn oder anderen Fotografen hin und thematisiert auch die ethische Verantwortung von Kriegskorrespondenten damals wie heute. Trotz vereinzelter Stilblüten und krummer sprachlicher Bilder, die ihren Ursprung auch in der Übersetzung von Judith Petrus haben können, ist der spanischen Autorin mit „Warten auf Robert Capa“ ein geistreicher und spannender Roman über Liebe, Bürgerkrieg und die Fotografie gelungen.

Susana Fortes wurde 1959 im spanischen Pontevedra geboren. Nach ihrem Studium der Geschichte und Geografie arbeitete sie als Hochschuldozentin und freie Journalistin unter anderem für El Pais und La Voz de Galicia. Obwohl in Deutschland weitgehend unbekannt, genießt Fortes in Spanien als Autorin ein hohes Ansehen. Sie wurde nicht nur in rund 20 Sprachen übersetzt, sondern auch mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter der „Premio Nuevos Narradores“ für das beste Erstlingswerk. Für „Warten auf Robert Capa“ (Originaltitel: Esperando a Robert Capa) erhielt sie 2009 den renommierten „Premio Fernando Lara“. Neben dem aktuellen Roman wurde einzig Fortes „Im Zeichen der Madonna“ (Originaltitel: Quattrocento, 2007) ebenfalls ins Deutsche übersetzt.


Susana Fortes „Warten auf Robert Capa“

Roman, erschienen 2016 im Verlag Ebersbach & Simon

Aus dem Spanischen von Judith Petrus

ISBN: 9783869151205

19,95 €


Capa-Ausstellung im Mai Manó Ház

Bilder von Krieg und Frieden

Wer mehr über das Werk des wohl bekanntesten ungarischen Fotografen erfahren möchte, der hat noch bis zum 22. Oktober die Chance, einige seiner wichtigsten fotografischen Arbeiten im Rahmen der Ausstellung „Robert Capa – Images of War and Piece“ im Budapester Mai Manó Ház zu sehen. Gezeigt wird ein Querschnitt durch Capas Lebenswerk – der die Besucher in zahlreiche Krisengebiete führt, in denen Capa den Kriegsalltag, aber auch die vielen kleinen Momente des Friedens dokumentiert hat. Unter den ausgestellten Fotografien, die eine Leihgabe des Ungarischen Nationalmuseums sind, sind auch solche, die aus dem sensationellen Mexiko-Fund von 2008 stammen und in dieser Konstellation erstmalig ausgestellt werden.

Mai Manó Ház

Budapest, VI. Bezirk, Nagymező utca 20

Öffnungszeiten: täglich 11 bis 19 Uhr

Tickets: 1.500 / 700 Forint (ermäßigt)

Weitere Informationen finden Sie unter www.maimano.hu

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