Immerhin ist noch reichlich Glut in Form einer großen Fußballtradition vorhanden, einschließlich des sich daraus speisenden Glaubens der fußballinteressierten Ungarn, ihr Land wäre beim Fußball zu Höherem berufen. Außerdem gibt es etliche einflussreiche Zeitgenossen, die seit 2010 diese Glut mit neuem Brennstoff versorgen und mit aller Kraft anblasen. In wohl kaum einem anderen Fußballschwellenland wurde und wird derzeit so beharrlich an einem Fußball(wieder)aufstieg gearbeitet wie in Ungarn.

Doch als wäre Ungarns beachtlicher Auftritt bei der Fußball-EM nur eine Fata Morgana gewesen, findet sich der ungarische Fußball nur ein paar Wochen später auf dem gleichen harten Fußballboden wieder wie zuvor. Zumindest, was den Clubfußball betrifft. So fand der Saison-Auftakt der ungarischen Erstligisten, wie gewohnt, vor fast leeren Stadien statt – siehe dazu unseren Artikel auf den Seiten 14 bis 16 – und lässt sich der große ungarische Champion Ferencváros von einer albanischen (!) Ersatzmannschaft sang- und klanglos aus der Champions League kicken. Auch in der Europaliga haben die ungarischen Clubs bisher keine gute Figur gemacht.

Vielleicht sollte man einmal überlegen, was die Unterschiede zwischen französischem Sommermärchen und ungarischem Cluballtag sind. Warum ist bisher so gar kein Funke von der EM-Begeisterung übergesprungen? Warum haben ungarische Fußballfans zu Tausenden keine Kosten und Mühen gescheut, um die ungarische Nationalelf in Frankreich vor Ort anzufeuern, und interessieren sich nun so gut wie gar nicht dafür, was teilweise die gleichen Spieler, nun aber in Clubtrikots, auf ungarischem Rasen produzieren? Oder vielleicht müsste die korrekte Frage heißen: Warum sind ungarische Spieler derzeit scheinbar nur im Rahmen ihrer Nationalmannschaft in der Lage, anziehenden, also stadionfüllenden Fußball zu spielen?

Immerhin ist es ein Fortschritt, dass zumindest die Mitglieder der Nationalelf wieder attraktiven, international wettbewerbsfähigen Fußball spielen. Jahrzehntelang war ja selbst das nicht gegeben. Kaum haben sie aber das Nationaltrikot ausgezogen, verschwinden die großen ungarischen Namen dieser Fußball-EM wieder fast im Nichts. Während es in der Wirtschaft sonst normal ist, dass man sich erst auf dem Heimatmarkt eine solide Position erobert und dann auf den Weltmarkt vorstößt, scheint es beim ungarischen Fußball genau umgekehrt zu laufen. Vielleicht nicht einmal das.

Wobei sich hier gleich die Frage stellt, ob der ungarische Fußball bei internationalen Meisterschaften überhaupt auf mehr hoffen kann, wenn er praktisch kaum einen nationalen Unterbau hat? Und wenn alle Spieler von Klasse irgendwo im Ausland spielen und sich nur gelegentlich zu Spielen der Nationalelf treffen. Werden in Zukunft überhaupt noch genug ungarische Fußballspieler den Sprung ins Ausland schaffen, um bei ausländischen Vereinen den Schliff zu bekommen, den ihnen der ungarische Club-Alltag versagt?

Natürlich, alles braucht seine Zeit. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Dass aber der triste ungarische Fußballcluballtag so nahtlos weitergeht, als hätte es das Sommermärchen nicht gegeben, ist doch schon etwas enttäuschend. Warum war die Budapester Groupama-Arena nur zu einem Viertel gefüllt, als die Mannschaft des brillanten Torschützen Zoltán Gera (Ferencváros) auf jene von Nationalkeeper Gábor Király (Swietelsky Haladás) traf?

Während der ehemalige Hertha BSC-Keeper während der EM auf einer riesigen Begeisterungswoge getragen wurde und seine grauen Schlabberhosen für ein paar Wochen zum Kultgegenstand avancierten, waren nur wenige Wochen nach seiner Heimkehr gerade einmal 5.600 Ungarn daran interessiert, diese Hosen und vor allem deren Inhalt vor Ort in Aktion zu sehen. Immerhin doppelt so viele wie der Durchschnitt des Saisonauftakts von 2.700 Zuschauern, aber doch nur so viel, um die Groupama-Arena zu einem Viertel zu füllen. Genau die fehlenden drei Viertel könnten aber den entscheidenden Unterschied für die Spieler ausmachen. Vielleicht kann man in so spärlich gefüllten Stadien einfach nicht besser spielen? Vielleicht sorgen erst weitgehend gefüllte Stadien für den nötigen Motivationsschub, damit die Spieler zur Freude des Publikums zur Höchstform auflaufen?

Die Orbán-Regierung hat sich zum großen Stadionbauer aufgeschwungen. Vielleicht wäre es langsam an der Zeit, einmal darüber nachzudenken, wie die vielen neuen Stadien auch gefüllt werden können!

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