„Die erste Flasche war eine Whiskyflasche – so klein, dass ich sie beinahe mit der ganzen Hand umschließen konnte“, sagt Katinka Rácz. Das war an einem Abend vor etwa acht Jahren. Nach einigen Abstechern in Bars der ungarischen Hauptstadt landete sie schließlich mit Freunden an einem Küchentisch – und verwandelte die Whiskyflasche vor ihr mit Farben in ein Flaschenhaus. Die nächsten Versuche als Künstlerin machte Katinka Rácz dann mit Glasfarben. Allerdings bemerkte sie schnell die Vorteile von Acrylfarben – und von einem motivierten Freundeskreis. „Acrylfarbe trocknet einfach schneller. Das ist unentbehrlich für meine Kunst. Genauso wie der Einsatz meiner Freunde. Auch wenn sie ohne mich in den Budapester Kneipen unterwegs sind, werden fleißig Flaschen gesammelt. Manchmal hilft auch ein Kneipenwirt beim Sammeln aus“, erzählt die Künstlerin. Leer sollten sie definitiv sein, und im Idealfall groß und bauchig. In den letzten drei Jahren investierte sie mehr und mehr Zeit in ihre Flaschenkunst. Derzeit lässt sich sogar eine ganze Stadt aus Katinkas Architektur-Kabinett bestaunen.

Zwischen Realität und Fiktion

„Gebäude werden von Menschen für Menschen entworfen. Dabei sind sie in der Regel schlicht aufgebaut: Tür, Fenster, Stockwerke”, meint Katinka. „Aber Gebäude sind innerhalb eines Viertels angeordnet. Und hier spiegelt sich das Verhältnis von Mensch und Haus wider.” Sie baut dabei keine Städte oder Bezirke nach, lässt sich aber inspirieren. Schon immer war die Katinka von Städten an der Küste fasziniert. Das Klima, die Architektur, das natürliche Umfeld und die gedrungenen Backsteinhäuser. „Ich lasse mich nicht nur durch mein privates Umfeld beeinflussen, sondern schaue mir beispielsweise über Google Maps fremde Städte überall auf der Welt an – besonders gerne Kroatien, Dänemark und Holland”, erklärt sie. „Ich bewege mich so zwischen Realität und Fiktion. Besonders erstaunt war ich, als ich auf eine Küstenstadt in England gestoßen bin: Scarborough. Die entsprach genau meinen Vorstellungen einer fiktiven Flaschenstadt.”

#

Katinkas Stadt heisst Bottletown; ebenso wie Scarborough liegt diese Stadt an der Küste und eine Burg ragt nahe dem Meer aus der Häuserfront hervor. Zwar lässt sie sich von bestehender Architektur beeinflussen, kopiert aber neben Details wie Türen oder Fensterfronten nie komplette Straßenzüge oder gar Bezirke.

Eine Stadt mit 11.000 Menschen scheint perfekt

Eigentlich hat Katinka Rácz schon genügend Häuser für eine ganze Stadt zusammengestellt – insgesamt sind es jetzt beinahe 1.000 Flaschen. Gezählt hat sie ihre Kunstwerke allerdings nie – das würde ihre Kreativität behindern. Ihr nächstes Ziel ist die Konzeption einer Stadt mit etwa 11.000 Einwohnern. „Eine Stadt, die so viele Einwohner hat, dass sie selbst über die notwendige Infrastruktur mit Gebäuden wie einer Schule, einem Rathaus oder einem Krankenhaus verfügt, das reizt mich besonders”, sagt Katinka Rácz. „Dabei kann ich dann auch alle erdenklichen Stilmerkmale nutzen, ohne dass sich etwas wiederholt oder es langweilig wird.”

#

Katinka Rácz kommt selbst aus der Kleinstadt Mezökövácsháza und ist erst zum Studium in die Hauptstadt gezogen. Die gelernte Sozialarbeiterin arbeitet heute in einem Trauerhilfezentrum in Budapest und überlegt, wie sie ihre künstlerische Ader in ihren Beruf integrieren kann in Form von Kunsttherapie.

Bottletown mit Leben füllen

Damit sie nicht nur scheinbar leere Straßen entwickelt, möchte Katinka nun ihre Stadt mit Persönlichkeiten füllen. Gemeinsam mit einem Schriftsteller hat sie bereits einen ersten Hauptdarsteller entworfen: István Csóka – und seines Zeichens Literat von Beruf. Katinka möchte das Leben ihrer Flaschenstadt mit noch mehr Charakteren bevölkern – ob lebendig oder bereits verstorben spielt dabei eine untergeordnete Rolle, denn es geht um die Lebensleistungen und Biografien der Figuren. Die Erinnerungen sollen weiterleben. „Wie der Betrachter der Stadt an dieses Wissen herankommt, überlegen wir noch. Am Anfang der derzeitigen Ausstellung wurde in einer Lesung unsere erste Hauptfigur vorgestellt. Momentan ist diese Umsetzung die größte Herausforderung”, meint die Flaschenarchitektin.

#

Mit einem Autor füllt Katinka Rácz nun ihre Stadt mit Seelen. Gemeinsam kreieren sie das soziale Gefüge.

Katinka Rácz bezeichnet sich selber nicht als Künstlerin. In ihrer Flaschenmalerei sieht sie zwar ein Werk, aber keine künstlerische Leistung. Neben ihrem derzeitigen Projekt plant sie einen Besuch von Scarborough, um aktiv vor Ort erfahren zu können, wie stark sich ihre fiktive Idee von der realen Stadt unterscheidet – oder mit der Realität deckt. Doch zunächst schaut sie sich nach einem Showroom und einem Atelier um. Eine Flasche mit einem Haus mit ihrem Namensschild gibt es schon. Eine Fiktion, die vielleicht in naher Zukunft Realität werden könnte.

Bottletown, Kabinet Galéria

Köfarago utca 15, 1085 Budapest

Bis Ende August täglich von 12 bis 18 Uhr

#



Konversation

WEITERE AKTUELLE BEITRÄGE
Regierungsbeschlüsse

Ende für Transitzonen

Geschrieben von BZ heute

Am kommenden Dienstag reicht die Regierung jene Vorlage im Parlament ein, mit der sie um die…

Im Gespräch mit Columbo, Frontmann der Band Irie Maffia

Musik in der Quarantänezeit

Geschrieben von Péter Réti

Vor 15 Jahren wurde die ungarische Band Irie Maffia gegründet. Die Budapester Zeitung sprach mit…

Brettspielverleih „Játszóház Projekt”

Lasset die Spiele beginnen!

Geschrieben von Elisabeth Katalin Grabow

Gezwungenermaßen verbringen viele Menschen heute mehr Zeit daheim. Da wird die Suche nach neuen…