Während es im Moment so aussieht, dass die Wahl in Österreich wieder spannend wird, dürfte beim ungarischen Referendum allenfalls die Höhe der Wahlbeteiligung für Spannung sorgen. Das Endergebnis dürfte – mit umgekehrten Vorzeichen – dem des Referendums zur EU-Mitgliedschaft Ungarns von 2003 ähneln oder zumindest ebenso deutlich zugunsten des Standpunktes der Regierung ausfallen. Immerhin werden die Anhänger der beiden stärksten Parteien – Fidesz und Jobbik – eher mit „Nein“ stimmen und die der beiden größten Linksparteien – MSZP und DK – eher den Wahlurnen fernbleiben.

Mit Blick auf das absehbare Ergebnis ist das Referendum also völlig überflüssig und reine Geldverschwendung. Abgesehen von etwas vorgezogenem Wahlkampf für die Regierungspartei – sicher auch eine nicht zu unterschätzende Motivation der Initiatoren – dürfen aber die Auswirkungen des Referendums auf die noch immer offene Abwehrschlacht gegen die EU-Zwangsquote nicht unterschätzt werden. Immerhin kann die Orbán-Regierung nach einem für sie erfolgreichen Referendum noch selbstbewusster jeglichen Brüsseler Plänen zur Zwangsansiedlung von Flüchtlingen gegenübertreten und an der Gestaltung einer mehr an den Realitäten orientierten EU-Flüchtlingspolitik mitwirken.

All das natürlich im Interesse einer funktionstüchtigen und starken Union. Insofern folgen die erwähnten beiden Linksparteien einer etwas anderen Logik, wenn sie nahelegen, mit einem Referendumsboykott für einen Verbleib Ungarns in der EU zu stimmen. Der Fidesz-Regierung bei jeder Gelegenheit EU-Austritts-Gelüste zu unterstellen, ist zwar in linken und liberalen Kreisen opportun. Im Moment ist allerdings nur zu erkennen, dass sich die Orbán-Regierung auf EU-Ebene pragmatisch für eine Überwindung der Flüchtlingskrise einsetzt und damit für eine Stärkung der EU. Und in einer starken EU steht das Thema Austritt genauso wenig zur Debatte, wie in den Jahren vor 2004 ein Nicht-EU-Beitritt.

Ein weiterer Vorwurf läuft darauf hinaus, dass das Quoten-Referendum deswegen Nonsens sei, weil dessen Ergebnis internationale Verträge berühre, zu denen keine Referenden abgehalten werden dürften. Ja, warum eigentlich nicht? Warum sollte in einer EU-Welt voll schwankender internationaler Verträge ein EU-Volk nicht seine Meinung bezüglich einer zukünftigen EU bekunden? Zumal die Ratlosigkeit der EU-Eliten insbesondere in der Flüchtlingsfrage den Eindruck suggeriert, hier seien gewisse externe Impulse nötig.

Das Volk zu befragen, ist auch deshalb eher fair und ehrlich, weil sich der Charakter der EU inzwischen geändert hat. Bis zur Flüchtlingskrise war die Grundlage für Ungarns EU-Mitgliedschaft eine klare Win-Win-Situation. Der Deal lautete vereinfacht ausgedrückt: Ungarn öffnet sich den Firmen der Alt-EU-Länder als Absatzmarkt und preiswerter Investitionsstandort, im Gegenzug wird das Land zum Netto-EU-Geld-Empfänger. Das hat bisher wunderbar funktioniert. Die Club-Mitgliedschaft erwies sich für beide Seiten als eine lohnenswerte Angelegenheit. Daran änderten auch gelegentliche politische Sticheleien in die eine oder andere Richtung nichts. Die Rechnung ging für beide Seiten auf. Die Zahlen stimmten

Mit der Flüchtlingskrise hielt im letzten Jahr zum ersten Mal eine Lose-Lose-Situation Einzug in den EU-Alltag. Die Fehler von einigen West-EU-Ländern sollten von den, dafür nicht verantwortlichen Ost-EU-Ländern mit ausgebadet werden. Eine völlig andere Qualität gegenüber der beiderseitig ausschließlich positiven Ausgangssituation bei EU-Beitritt. Absolut korrekt und ehrlich von der ungarischen Regierung, dass sie nun das Volk befragt und wissen will, ob es bereit ist, auch die neue Lose-Lose-Situation mitzutragen.

Es ist – wie oben erwähnt – nicht sehr wahrscheinlich, dass die wirtschaftlich ohnehin schon sehr gebeutelten und mit genug internen Problemen kämpfenden Ungarn plötzlich in Spendierlaune verfallen und den West-EU-Ländern helfend beispringen. Dennoch ist es demokratischer, in einer so schwerwiegenden Frage bei den Wählern nachzufragen, statt deren Willen – wie in den meisten West-EU-Ländern – selbstherrlich zu ignorieren.
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