Das Erscheinen des Buches „France Allemagne, Relancer le moteur de l’Europe“ von Philipe Gustin wurde zum Anlass genommen, das Stimmungsbild der deutsch-französischen Beziehungen erneut zu hinterfragen. Seit den Anschlägen von Paris und Brüssel war davon nicht mehr oft die Rede gewesen. Zwar verfolgen Medien und Politik in den beiden Ländern die Geschehnisse im Nachbarland aufmerksamer als zuvor, doch besteht eine grundlegende Angst, dass die Entscheidungen des Anderen sich auch auf das eigene Land auswirken werden.

Französische Angst vor deutscher Dominanz

Und so steht man sich schon seit längerem trotz aller Freundschaftserklärungen kritisch gegenüber. Frankreich befürchtet seit der politischen Wende 1990 eine neue deutsche Dominanz in Europa, in Deutschland fürchtet man, dass die wirtschaftlichen Probleme Frankreichs langfristig die gesamte Eurozone und somit auch Deutschland belasten könnten. Dabei spricht man gerne von der französischen Reformunwilligkeit, auch wenn sich mit dem anstehenden Referendum in Großbritannien, der griechischen Euro- und der deutschen Migrationskrise in den letzten Monaten viel größere innereuropäische Probleme abgezeichnet haben.

Das Bewusstsein der gegenseitigen Abhängigkeit ist in den letzten Jahren zwar gewachsen, doch für die neuen Generationen hat die deutsch-französische Achse an politischer Bedeutung verloren, konstatierte Philipe Gustin, der davor warnte, diesen einzigartigen Motor der europäischen Konstruktion ganz abzuschalten. „Ob es einem gefällt oder nicht“, schreibt er in seinem Buch „die französisch-deutsche Partnerschaft bleibt die zentrale Macht in Europa.“ Immerhin stellen diese beiden Länder zusammen 30 Prozent der EU-Bevölkerung, rund 40 Prozent des Bruttosozialproduktes der Eurozone und ganze 17 Prozent der Weltexporte. Das ist nicht wenig und so kommt diesen beiden Ländern in ihrer historischen Verbundenheit ein ganz besonderer europäischer Auftrag zu.

Keine andere innereuropäische Konstruktion könnte diese Achse je ersetzen. Von daher sollten ihre vereinten politischen Kräfte der tief in der Krise steckenden Europäischen Union einen neuen Auftrieb geben. Immerhin haben Paris und Berlin eines unter Beweis gestellt: Dass sie selbst für noch so unterschiedliche Ausgangs-positionen Kompromisse finden können. Der bedeutendste Kompromiss lag im Abkommen: deutsche Wiedervereinigung gegen Euro.

Mitterand lehnte Wiedervereinigung zunächst ab

Der 1996 verstorbene französische Präsident François Mitterand war zunächst einmal gegen die Wiedervereinigung Deutschlands gewesen, akzeptierte sie dann aber unter der Bedingung, dass der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl bereit war, die starke D-Mark für eine europäische Gemeinschaftswährung, nämlich für den Euro aufzugeben. Der wohl spektakulärste Aspekt dieser Kompromissbereitschaft ist auch wirtschaftlich ganz offenbar. Allein 2014 haben sich 2.500 deutsche Firmen in Frankreich niedergelassen und 1.600 französische Firmen in Deutschland.

Trotzdem, so Philipe Gustin weiter, hat es in den Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung auch viele Risse in den Beziehungen der beiden Länder gegeben. Der wohl bedeutendste davon war die Ablehnung der europäischen Verfassung durch das Referendum in Frankreich am 29. Mai 2005. Auch die Ansichten darüber, wie die immer noch nicht überwundene Eurokrise zu beheben sei, gehen weit auseinander und insgesamt herrscht gerade in Frankreich die Furcht vor, in ein Europa mit zu viel Deutschland und zu wenig Frankreich zu schlittern.

Deutsch-französische Aufgabenteilung

Noch gilt die Aufgabenteilung, Frankreich schützt den Kontinent mit seiner militärischen Macht, Deutschland ist dagegen der gute Onkel, der viel Geld einbringt. Doch an der zukünftigen Beziehung zwischen den beiden Ländern muss intensiv gearbeitet werden, soll diese Achse auch in Zukunft politisch für Europa von Bedeutung sein, meinte auch der amtierende französische Botschafter, Eric Fournier.

Für Eric Fournier liegen die wesentlichen Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland in ihren Vorgehensweisen. Während in Frankreich immer das Ergebnis im Vordergrund steht, konzentriert sich Deutschland in erster Linie auf den Prozess der Verhandlungen. Das Ergebnis, das Frankeich etwa in Bezug auf die ukrainische Krise interessiert, ist die Aussöhnung mit Russland. Eric Fournier warnte Deutschland davor, sich zu sehr nach der US-amerikanischen Politik zu richten, die Russland ausschließen möchte. Europa darf sich auf keinen Fall gegen Russland wenden und so in einen erneuten Kalten Krieg zurückfallen. Die französische Politik, so Fournier, strebt eine Aussöhnung mit Russland an und möchte dafür Deutschland an seiner Seite wissen.

Für den amtierenden deutschen Botschafter Dr. Heinz-Peter Behr gibt es vier Punkte, in denen sich Frankreich und Deutschland annähern sollten. Das betrifft Fragen der Sicherheit, den Kampf gegen den Terrorismus, die Flüchtlingskrise und die Wirtschafts-und Energiepolitik. Gerade bei der letzteren klaffen die Ansichten zwischen Frankreich und Deutschland weit auseinander. In Fragen der Sicherheit und der Terrorismusbekämpfung kann Deutschland sicherlich mehr von Frankreich lernen und in der Wirtschaftspolitik sollte sich Frankreich an Deutschland orientieren, besonders an seiner Sparpolitik.

Fournier: „Nicht die neuen populistischen und nationalistischen Strömungen sind die eigentliche Gefahr für Europa“

Ob man sich allerdings in Bezug auf die Flüchtlingskrise einigen kann, blieb unbeantwortet. Philippe Gustin hob hervor, dass dieses Problem für Europa sicherlich genauso gefährlich werden könnte, wie der „Brexit“, das Referendum in Großbritannien am 23. Juni. Denn jedes Land hat eine andere Beziehung zu dieser Frage und auch einen anderen Umgang mit Flüchtlingen, so dass Europa gerade daran zerbrechen kann. Zudem mache Brüssel sehr viel falsch im Umgang mit den Problemen und Befürchtungen, die die Menschen gegenüber den Problemen haben, die eine massive Einwanderung mit sich bringt. Und darum, so Eric Fournier in seiner Kritik an Europa, liege es auf der Hand, dass nicht die neuen populistischen und nationalistischen Strömungen die eigentliche Gefahr für Europa darstellen, sondern Brüssels taube Ohren gegenüber den Ängsten und Nöten seiner Bürger.

Was also tun, um dem französisch-deutschen Motor wieder neuen Antrieb zu verleihen? Zunächst einmal müsse sich Frankreich dafür einsetzen, dass Deutschland einen permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat bekommt. Das hatte der französische Staatspräsident Jacques Chirac bereits 2000 vor dem Bundestag angekündigt. Dann sollte es in beiden Ländern so etwas wie eine eigene Abteilung in einem Ministerium geben, die sich der besonderen Beziehung zwischen den beiden Staaten widmet. Auch das ist keine neue Idee, bislang wurde sie jedoch nicht verwirklicht.

Ganz wichtig sei es auch, den Spracherwerb der jeweils anderen Sprache zu fördern. Im Rahmen verschiedener schulischer Reformen laufen allerdings beide Schulsysteme Gefahr, die Sprache des Anderen zu vernachlässigen. Beide Sprachen gelten als „schwer“ und stattdessen erfährt seit einigen Jahren die spanische Sprache Aufwind. Für die französischen Schüler ist Spanisch natürlich einfacher, als das Deutsche. Doch auch in Deutschland gilt die französische Sprache aufgrund der Akzente als schwerer als das Spanische und viele Schüler wählen diese Sprache ab. Das sollte durch eine gezielte Sprachpolitik verhindert werden. Französisch und Deutsch sollten in dem jeweils anderen Land wieder als Pflichtsprachen eingeführt werden. Immerhin hatte eine jahrzehntelange gezielte Sprachförderung dazu geführt, dass sich seit 1950 rund 8,2 Millionen Schüler aus den beiden Ländern über die Austauschprogramme der deutsch-französischen Jugendwerke DFJW und OFAJ getroffen haben.

Besondere deutsch-französische Verantwortung

Als General Charles de Gaulles und der erste Nachkriegsbundeskanzler Konrad Adenauer 1963 den Elysée-Vertrag unterschrieben haben, ging es um eine neue politische Verantwortung. Damals drohten die Verhandlungen zur Gründung der ersten Europäischen Union zu scheitern und Charles de Gaulle hatte den deutschen Bundeskanzler kontaktiert, um mit diesem den Grundstein für eine intensive deutsch-französische Zusammenarbeit zu legen. Seither hat diese Freundschaft, dieses Tandem oder wie immer man diese Verbindung nennen möchte, eine ganz besondere Verantwortung für die gesamteuropäische Konstruktion übernommen. Und aus diesem Grund, da waren sich alle drei Botschafter einig, darf diese Verantwortung nicht einfach fallen gelassen werden. Denn, auch ohne die anderen Mitgliedstaaten bevormunden zu wollen, gilt selbst für das Europa des 21. Jahrhunderts: Was die deutsch-französische Achse erarbeitet, wird oft von den anderen Mitgliedsstaaten akzeptiert.

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