Seit wann bist du nun in der Donaumetropole – und vor allem: Was war deine Motivation?

Ich bin im Februar nach Budapest gezogen und arbeite seitdem im Menedékház Alapítvány, wo wir mit obdachlosen Familien und speziell auch mit Kindern zusammenarbeiten. Darauf ist die Organisation ausgerichtet. Ursprünglich komme ich aus Minden, habe aber zuletzt in Kiel gewohnt. Durch eine Bekannte bin ich dann im vergangenen Jahr auf den European Voluntary Service aufmerksam geworden – und war direkt begeistert.

Ich habe schon immer davon geträumt, bei einem freiwilligen Projekt im Ausland mitzuwirken. Zeitlich hat es super gepasst – auch, damit ich die Wartezeit bis zum Studium mit etwas Sinnvollem verbringen kann. Hinzu kam, dass die EVS nicht so viel Geld im Voraus verlangt: Bei anderen Organisationen sind die Gebühren teilweise geradezu utopisch. Ich habe mich ziemlich kurzfristig im letzten September beworben – eigentlich viel zu spät. Aber mein Leiter fand besonders diese Spontanität überzeugend, und hat sich schließlich für mich entschieden.

Und warum gerade Budapest?

Neben Budapest habe ich mich auch für andere Projekte beworben – beispielsweise in Spanien, Frankreich oder Großbritannien. Budapest ist es schlussendlich geworden – und ich bin froh darüber. Ich wusste zwar, dass es eine schöne Stadt sein soll, war aber bis dato noch nie in Ungarn. Eine konkrete Vorstellung von Land und Leuten hatte ich also eher weniger. Umso witziger ist es nun, dass ich mich hier ein bisschen wie in Deutschland fühle; auch wegen der Vielzahl an deutschen Geschäften. Andererseits sehe ich Budapest als multikulturelle Stadt – mit europäischen wie auch orientalischen Einflüssen.

Interessant allerdings, dass das Land in Sachen Feminismus etwas hinterherzuhängen scheint, so empfinde ich es zumindest – auch durch Begebenheiten bei der Arbeit: Wir sind insgesamt vier Freiwillige, die anderen kommen aus der Türkei, Frankreich und Spanien. Bei der Begrüßung am Morgen gibt der Koordinator aber nur den Männern die Hand, uns Frauen nicht. Mittlerweile sehe ich das zwar nicht mehr als direkte Form der Diskriminierung, aber trotzdem hat es einen gewissen Eindruck hinterlassen.

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Imke Langmann ist froh, in Budapest gelandet zu sein.

Was den Bewerbungsprozess angeht: Wer teilnehmen möchte, muss sich zunächst drei Projektpartner suchen: Die Entsendeorganisation, das Aufnahmeprojekt und eine koordinierende Organisation. Wer einen Europäischen Freiwilligendienst (EFD) leisten möchte, muss sich, ähnlich wie beim Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ), vorab eine Entsendeorganisation suchen, die entsprechende Plätze anbietet. Diese nimmt dann auch die Bewerbung entgegen und sucht anschließend gemeinsam mit dem Freiwilligen ein Aufnahmeprojekt im Ausland.

Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?

Die Woche beginnt montags immer mit einer großen Spende vom Metro Supermarkt, die wir abholen müssen. In der Regel habe ich eine 30-Stunden-Woche, in der ich vor allem Englischunterricht für Kindergarten- und Grundschulkinder gebe. Disziplin und Motivation sind hier zwar noch ausbaufähig, aber gerade das spornt mich in meiner Tätigkeit an. Im Arbeitsalltag muss ich dabei oft mit Händen und Füßen kommunizieren. Obwohl ich ungarisch lerne, gestaltet es sich manchmal schwierig; Stichwort Sprachbarriere.

Neben uns internationalen Volontären arbeiten hauptsächlich Sozialarbeiter und ungarische Freiwillige im Menedékház Alapítvány. Wir haben zwei Gebäude. In einem wohnen derzeit 25 Familien, die für einen geringen finanziellen Beitrag ein Dach über dem Kopf bekommen. In dem anderen Gebäude befindet sich eine sogenannte Shelter-Station, wo Obdachlose betreut und versorgt werden. Das sind in etwa 160 Menschen pro Tag. Wir EVS-Freiwillige wohnen selbst auch auf dem Gelände. Dadurch bekommen wir sehr intensiv die eindrücklichen Schicksale mit, mit denen die Menschen zu kämpfen haben. Obwohl ich nicht alle Geschichten kenne, liegen die Schwerpunkte in der Regel auf Vergewaltigung, Prostitution oder generell Armut. Was mich dabei besonders beeindruckt: Die Menschen hadern oft nicht mit ihrer Biografie; lassen mich wenig von ihren negativen Erfahrungen spüren. Apropos Armut und Obdachlosigkeit: Wo mir das persönlich in Budapest extrem bewusst wird, ist an und in den U-Bahnhöfen. Hier sehe ich auf Seiten der Regierung durchaus noch Nachholbedarf.

Was hast du für Pläne nach deiner Zeit in Budapest?

Ich werde Budapest im September 2016 verlassen. Im Anschluss möchte ich Soziologie und Europäische Ethnologie in Hamburg oder Kiel studieren – denn das ist es, was mich interessiert, und was ich bisher auch in der ungarischen Hauptstadt erfahren konnte: Die Komplexität und Dynamik von Gesellschaften und deren interkultureller Austausch. Dieses Interesse möchte ich später definitiv auch zu meinem Beruf machen.

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Die Stiftung Menedékház hilft in Schwierigkeiten geratenen Familien.

Über den European Voluntary Service (EVS)

Die Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste, kurz ijgd, bieten seit 1996/1997 den Europäischen Freiwilligendienst für sechs bis zwölf Monate an. Als Entsendeorganisationen sind die Büros in Berlin, Bonn, Hildesheim und Magdeburg tätig.

Der Europäische Freiwilligendienst ist ein Bestandteil des EU-Bildungsprogramms Erasmus+ (2014-2020) und soll die Solidarität, die aktive europäische Bürgerschaft sowie das gegenseitige Verständnis unter jungen Menschen fördern. Freiwillige leben und arbeiten dort in gemeinnützigen Projekten und haben die Chance, neue Eindrücke, Ideen und Perspektiven zu sammeln. Die Freiwilligen werden vor, während und nach ihrem Dienst pädagogisch begleitet – Sprachkenntnisse sind nicht erforderlich. Während des EVS besteht ein Anspruch auf Kindergeld. Absolviert werden kann das jeweilige Projekt im sozialen Bereich, beispielsweise in Arbeit mit Menschen mit Behinderungen, der Kinder- und Jugendarbeit, der Alten- und Krankenpflege oder in Beratungsstellen.

Im ökologischen Bereich betrifft das zum Beispiel Arbeitsfelder wie Restauration, Biotop- und Umweltschutz sowie Bildungszentren. Im kulturellen Bereich sind es unter anderem die Unterstützung von Menschen bei Computerkursen, die Arbeit in Tagungshäusern oder in der (inter-)kulturellen Jugendbildung.

Im Projekt mit inbegriffen sind An- und Abreise zum Projekt, Kranken-, Haftpflicht und Unfallversicherung, Unterkunft und Verpflegung, gegebenenfalls lokale Reisekosten sowie Reisekosten zu den Seminaren. Hinzu kommen pädagogische Begleitung inklusive Vorbereitung, Zwischentreffen und Nachbereitung sowie ein Sprachkurs vor Ort und Taschengeld.

Bewerbungen sind nur dann sinnvoll, wenn vorher geklärt ist, dass die potentielle Einsatzstelle überhaupt nach Freiwilligen sucht. Dabei ist es empfehlenswert, per Email anzufragen, ob ein Platz im gewünschten Zeitraum frei ist. Folgt keine Antwort: gerne anrufen und nochmals nachfragen. Die Bewerbung derart gestalten, wie es aus den Informationen der betreffenden Einzelstelle hervorgeht.

Generell genügt eine Bewerbung per Email oder, in manchen Fällen ebenfalls, per Post. Aber auch Bewerbungsgespräche am Telefon oder per Skype sind möglich und teilweise gewünscht. Die Bewerbung sollte ein Anschreiben, einen Lebenslauf mit Bild und ein Motivationsschreiben enthalten. Oft haben Einsatzstellen dabei ihr eigenes Bewerbungsdokument. Wichtig ist es, alle Unterlagen in der Landessprache der Einsatzstelle zu formulieren. Im Notfall kann aber auch zur englischen Sprache gegriffen werden.

Weitere Informationen erhalten Sie unter:

www.ijgd.de/auslands-dienste/ab-6-monate/europaeis...

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